Der Tanz entspringt keiner besonderen Notwendigkeit, er entsteht seiner kreativen Schönheit wegen.
(Der Dichter Bharata, Verfasser des Natya Shastra, Lehrbuch des Tanzes aus dem 4. Jahrh. v. Chr.)
Mythologie
Laut der mythologischen Erzählungen entstand der Tanz aus den vier Veden. Lord Brahma, der Schöpfergott, wurde von
den Göttern gebeten den Menschen etwas zu schenken, was sie alle verstehen könnten. Darauf begab sich Brahma in tiefe Meditation und er erschuf den Natyaveda. Er entnahm die Essenz aus den vier Veden:
– aus dem Rgveda,
– Samaveda,
– Yajurveda,
– und aus dem Atharvaveda.
So entstand der Tanzveda.
Der fünfte Veda wurde im Natya Shastra festgehalten, welches dem Weisen Bharata zugeschrieben wird. Im Natya Shastra sind die fundamentalen Grundlagen aller darstellenden Künste enthalten, wie zum Beispiel: Tanz, Musik und Theaterkunst.
Der Tanz wird Lord Shiva zugeordnet, der ihn an seinen Schüler Tandu weiter gab. So wurde der männliche Aspekt des Tanzes auch unter dem Namen Tandava bekannt. Parvati, Shivas Gemahlin, fügte den femininen Aspekt Lasya dem Tanz hinzu und gab ihn weiter an Usha, der Göttin der Morgenröte. Usha wiederum lehrte die Kunst den Milchmädchen von Dwaraka. –
So gelangte der Tanz auf die Erde.
Shiva wird auch als kosmischer Tänzer bezeichnet. Zusammen mit Parvati, seiner Gemahlin, verkörpern sie die beiden Aspekte des Tanzes: Tandava und Lasya, den männlichen und den weiblichen Teil.
Die Entwicklung des Tanzes
Der klassische indische Tanz Bharata Natyam hat eine jahrtausendalte Tradition und ist einer der ältesten Tanzstile Indiens.
Er wurde früher nur in Tempeln getanzt. Seit einigen Jahrzehnten hat er auch die Bühne erobert und konnte eine Renaissance mit weltweiter Anerkennung und Verbreitung erleben. Ihm liegt die Hindu-Mythologie zugrunde, wonach Lord Shiva durch seinen kosmischen Tanz alles Sichtbare aus dem ewigen Sein, Brahman genannt, entstehen ließ. Er, der seine Schöpferkraft
in freudigem Tanz offenbart, ist Herr über Werden und Vergehen: Schöpfer und Zerstörer zugleich.
So, wie sich im Tanz Shivas das ewig bewegende Weltall versinnbildlicht, wird im Tanz der Tempeltänzerinnen die Verbindung des Menschen mit der Gottheit dargestellt. Die Tänzerinnen fungierten als Priesterinnen, als Mittlerinnen zwischen Himmel und Erde. So war der Tanz ein Teil eines Tempelrituals. Dieses Gedankengut ist bis heute erhalten geblieben und stützt den klassischen Tanz in seiner Tradition.
Über die Jahrtausende entwickelten sich die fünf klassischen Tanzstile Indiens:
Bharta Natyam,Kathak,Odissi,ManipuriundKathakali.
Bharata Natyam ist wohl der bekannteste indische Tanzstil ausserhalb Indiens.
Mit der Unabhängigkeit Indiens, trat der Tanz aus den Tempeln heraus und erlebte eine Renaissance und eroberte die weltlichen Bühnen.
Doch noch heute gilt für die indische Tänzerin: Dort wo sie tanzt, errichtet sie ihren Tempel.
Der Tanz in Verbindung mit den anderen Künsten
Der Tanz steht in direkter Verbindung zu allen anderen Künsten.
Zum Beispiel: Zur Musik, Iconographie, Dichtkunst usw.
Der indische Tanz kann einen sehr weltlichen Charakter annehmen – ist aber zur selben Zeit hoch spirituell. Immer wendet sich die Tänzerin in ihrem Tanz an das große Göttliche, dem kosmischen Geliebten.
Die indische Tanzkunst ist eine spirituelle Tanzkunst, so wie alle anderen Künste Indiens auch: Sei es die Bildhauerei, die Musik, die Dichtkunst oder die Malerei. Immer stehen sie alle in einem großen Zusammenhang und sind Teil eines Ganzen.
Die Posen in den ikonigraphischen Darstellungen aus Stein an den Tempelwänden sind den skulpturhaften Tanzposen sehr ähnlich und dienen den Tanzschülern oft als Vorbilder. Ebenso sind viele Yoga-Asanas in den Tanzposen enthalten. Die Musik wird durch die zwei Aspekte des Tanzes, Nrrtya und Nrrta ausgedrückt. Nrrtya ist der erzählende Teil des Tanzes und drückt die Stimmung und die Lyrik der Musik aus. Nrrta ist die Tanztechnik. Hier wird keine Geschichte erzählt sondern Rhythmus
und Tempo vereinen sich hier mit klaren und graziösen Linien der Tanztechnik zu einem wunderschönen künstlerischen Duett.
Die indische Musik ist, ebenso wie der Tanz, himmlischen Ursprungs. Die Silbe AUM ist der erste Klang, der in die Welt der Dualitäten kam. AUM ist die erste schöpferische klangliche Manifestation aus dem Urgrund des großen Seins. Mantren sind göttliche Klangsilben.
Die indische Musik besteht aus drei wesentlichen Aspekten: Dem Tala (Rhythmus), Raga (Melodie oder auch Stimmung)
und Rasa (Geschmack oder Eindruck, der die menschliche Seele erhebt).
Dieses dreigeteilte Konzept befindet sich in allen Künsten.
Bha = Bhava = Ausdruck
ra = Raga = Melodie
ta = Talam = Rhythmus
Natyam = Tanz
In Indien wird der Tanz als ein Geschenk der Götter betrachtet – als ein getanztes Gebet.